Museum Casa di Goethe, Rom : Wiederentdeckt. Tischbeins „Allegorie der Malerei und Dichtung"

Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751-1829), ‘Allegorie der Dichtung und Malerei‘, 1783, (Ausschnitt), Öl auf Leinwand, Foto: Museum Casa di Goethe, Rom

Der Erwerb von J.H.W. Tischbeins „Allegorie der Malerei und Dichtung" im Januar 2019 ist ein Glücksfall für die Casa di Goethe und eine kleine, kunsthistorische Sensation dazu. Dieses bislang der Forschung unbekannte Gemälde ist 1783 mit größter Wahrscheinlichkeit in den Räumen an der Via del Corso 18 entstanden, wo sich das Museum Casa di Goethe heute befindet.

Tischbeins Gemälde zeigt eine Allegorie der Malerei und der Dichtkunst. Wir sehen auf dem Bild in einem antikisierenden Interieur zwei sitzende Damen, links, mit einer Lyra, die Poesie, neben ihr die Malerei, die ein Tafelbild hält. Von besonderem Interesse ist die Ebenbürtigkeit der beiden Figuren, von denen die Malerei sogar bedeutender erscheint. Sie hat die Poesie wie führend an der Hand gefasst und wendet sich dieser fürsorglich zu, die wiederum vertrauensvoll zu ihr aufschaut. Es demonstriert das Selbstbewusstsein Tischbeins, für den die Kunst der Malerei derjenigen der Dichtung in nichts nachstand.

Aber ein unbekanntes Gemälde Tischbeins in Rom, kann das sein? Für wen wurde es gemalt, wo war es in den letzten 200 Jahren? Und wie kam die Casa di Goethe zu dem Bild? Davon will ich gerne berichten. Die ganze Geschichte begann im Zeichen der Freundschaft – und im Zeitalter von Social Media. Duccio und ich kannten uns noch nicht persönlich, sein Name war mir aber ein Begriff: römischer Professor für Ästhetik, Journalist, Autor, Künstlerfreund, Sohn des Politikers und Journalisten Antonello und Enkel des Malers Francesco Trombadori. An einem Abend im vergangenen Sommer sah ich auf Duccios Facebook-Profil die Fotografie eines Ölgemäldes und die Frage: Wer ist das? Das Bildmotiv erinnerte an Overbecks „Italia und Germania" und zog mich sofort in seinen Bann. Vor allem waren mir die klassischen Profile der beiden dargestellten Frauenfiguren sehr vertraut: Tischbein? Sofort schrieb ich eine Nachricht an Trombadori, da ich das Bild gerne im Original sehen wollte. „Liebe Maria," antwortete er mir, „ich gratuliere zu Ihrer ästhetischen Intuition! Das Gemälde ist in der Tat von Johann W. Tischbein und kann auf seinen zweiten Romaufenthalt datiert werden, als er sich eine Wohnung mit Goethe teilte. Es gehörte meinem Vater Antonello, der es von einem römischen Antiquitätenhändler erworben hatte. Sehr wahrscheinlich stammt es aus dem Nachlass einer angesehenen Familie. An dem Gemälde hänge ich sehr und wäre glücklich, wenn es in Tischbeins Werkverzeichnis aufgenommen werden könnte."

Das Bild war bisher unbekannt, die Signatur unten links aber makellos, klar, deutlich: „W. Tischbein Rom 1783". Zwei Kunsthistoriker, der ausgewiesene Tischbein-Experte Hermann Mildenberger (Klassik Stiftung Weimar) und der Overbeck-Spezialist Michael Thimann (Universität Göttingen) haben die Echtheit des Gemäldes eindeutig bestätigt. „Die klassizistisch und dabei sehr individuelle abstrahierende Typisierung der Gesichter, die teilweise fast skulptural anmutende Drapierung der Gewandfalten, Farbakkorde und Pinselduktus lassen einwandfrei ein Werk von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein aus der Mitte der 1780er Jahre erkennen", schreibt Mildenberger. Beide haben in ihren Essays, die bald in einer Publikation zum Erwerb der Casa di Goethe veröffentlich werden, das Bildmotiv und seine Bedeutung entschlüsselt. Mit dieser „Darstellung des Malerei-Themas und der Annäherung an die theoretischen Grundlagen des deutschen Idealismus des späten achtzehnten Jahrhunderts" habe Tischbein, so Thimann, „eine hochmoderne Position" eingenommen.Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751-1829), ‘Allegorie der Dichtung und Malerei‘, 1783, Öl auf Leinwand, Foto: Museum Casa di Goethe, Rom

Gespräche zum Verhältnis von Kunst und Malerei führten Tischbein und Goethe während ihres Zusammenlebens in der Via del Corso 18. Unmittelbar nach seiner Ankunft stellte Tischbein Goethe seine Ideen für ein gemeinsames Projekt vor. Goethe notierte am 7. November 1786 in seinem Tagebuch, dass er angefangen habe, Tischbeins Kunstvorstellungen und Ideen kennen und schätzen zu lernen. Der Maler habe ihm eine Reihe von Zeichnungen gezeigt, die er mit Gedichten begleiten solle. „Der Gedanke ist schön", fährt der Dichter in seinem Tagebuch fort, „nur müßte man freilich mehrere Jahre zusammen sein, um ein solches Werk auszuführen". Das Gemälde „Allegorie der Malerei und Dichtung" kann somit auch als Freundschaftssymbol, Manifest künstlerischen Zusammenwirkens interpretiert werden.

Dass dieses Gemälde in die Kunstsammlung der Casa di Goethe übergehen und dort der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollte, wurde Duccio schon bald deutlich, sodass es im Januar 2019 angekauft werden konnte. Derartige Erwerbungen, noch dazu in konservatorisch exzellentem Status, sind selten. Dass Tischbein es in unserem Haus gemalt haben dürfte, dass Goethe es vielleicht gesehen hat, und dass das Bild mehr als 200 Jahre lang unentdeckt in Rom verblieben ist, ist eine großartige und bewegende Vorstellung. Und sie wird umso bewegender durch eine zweite Geschichte, und auch sie will ich hier berichten.

Antonello Trombadori (1917-1993) war ein bekannter Journalist, Kunstkritiker und Politiker. Mit dem Ende des Faschismus nahm er an der verzweifelten Verteidigung der Hauptstadt gegen die deutsche Besetzung an der Porta San Paolo teil, wurde am 2. Februar 1944 von der SS verhaftet und im Gefängnis Regina Coeli inhaftiert. Nur durch einen Zufall entging er dem Massaker in den Ardeatinischen Höhlen, wo die Nazis am 24. März 1944 335 Zivilisten aus römischen Gefängnissen erschossen: Ein Arzt hatte ihn vorübergehend in die Krankenstation der Vollzugsanstalt aufgenommen. Dennoch, so erinnert sich sein Sohn Duccio, hatte Antonello, sonst hartnäckiger Verfechter des „sozialen Realismus" in der Malerei, „eine Vorliebe für die deutsche Kunst der Frühromantik. Diese nie erloschene Leidenschaft führte dann in den 80er Jahren zur Entdeckung des Tischbeingemäldes" in einem der damals unzähligen Antiquitätenläden in Zentrum Roms. Die Provenienzgeschichte konnte bisher noch nicht vollständig rekonstruiert werden, weitere Forschungen stehen an.

Für ein Museum wie die Casa di Goethe, das sich unter dem Namen Goethes dem italienisch-deutschen Kulturaustausch und der Tradition der Italienreisen widmet, ist das Gemälde von großer Symbolik. Die bewegte Geschichte dieses besonderen „Freundschaftsbilds" macht es darüber hinaus zum Zeichen der Aussöhnung zwischen den beiden Ländern.

Dr. Maria Gazzetti
Leiterin des Museums Casa di Goethe, Rom


Museum Casa di Goethe, Rom
Anlässlich der Erwerbung des Gemäldes erscheint die Publikation:
Die Entdeckung eines Gemäldes: J.H.W. Tischbein, Allegorie der Dichtung und Malerei, Rom 1783
hg. von Maria Gazzetti, mit einem Vorwort von Maria Gazzetti und Beiträgen von Hermann Mildenberger, Michael Thiman und Duccio Trombadori
54 Seiten, 14 farb. Abb., 7 €
ISBN: 978-3-930370-50-4
www.casadigoethe.it
Zu beziehen über: www.askishop.de
AsKI KULTUR lebendig 1/2019
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