Legalisierter Raub - Der Fiskus und die Ausplünderung der Juden in Hessen 1933-1945. Ausstellung des Fritz Bauer Instituts und des Hessischen Rundfunks

Ein alltägliches Bild: Versteigerungsanzeige in der Frankfurter Zeitung 1941, © Foto: Katalog

Diese Ausstellung ist aus einem Dokumentations- und Forschungsprojekt des Fritz Bauer Instituts entstanden.

Das Projekt befasst sich mit der Auswertung von Aktenbeständen der hessischen Finanzbehörden aus der NS-Zeit, Akten, die 1998 im Auftrag des Hessischen Finanzministeriums gesammelt wurden und sich jetzt im Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden befinden. Die gesichteten Devisenakten, Steuerakten, Vermögenskontrollakten, Handakten jüdischer Rechtsanwälte usw. belegen eindrucksvoll den legalisierten Raub von Eigentum der jüdischen Bevölkerung Hessens im "Dritten Reich" (Die Ergebnisse des Projektes können über das Hessische Hauptstaatsarchiv Wiesbaden abgerufen werden: www.archive.hessen.de).

Die Akten dokumentieren aber auch, dass die sogenannte Arisierung jüdischer Unternehmen nur die "Spitze des Eisbergs" gewesen ist: In enger Kooperation zogen unterschiedliche Dienststellen in den Finanzbehörden, der Zollfahndung, Devisenstellen usw. gemeinsam mit der Gestapo und anderen Organisationen Sparbücher, Devisenguthaben oder Wertpapierdepots jüdischer Bürger ein. All dies geschah in legalisierten Aktionen. Die fiskalische Entrechtung / Ausplünderung der Juden begann schon in den 30er Jahren - ab 1933 sahen sich auch die hessischen Finanzbehörden in "vorderster Front gegen die Juden" eingesetzt. Sie zogen diskriminierende Steuern ein, arbeiteten durch die Einleitung von Devisenstrafverfahren, verschärften Betriebsprüfungen und anderen Maßnahmen den an der "Arisierung" interessierten Partei- und Bevölkerungskreisen zu. Frühzeitig begann auch die Ausplünderung der "Emigranten", wie das Beispiel des Offenbacher Rechtsanwalts Schloss zeigt. Hier erzielte die Finanzverwaltung Mitte der vierziger Jahre selbst aus fast wertlosen Gegenständen wie Inflationsbriefmarken und dem Holz von Umzugskisten noch einen Gewinn für das Reich. Doch auch Privatpersonen zählten zu den Profiteuren: ein Oberfinanzpräsident beispielsweise, der seine ausgebombten Büro- und Privaträume mit Möbeln aus "Judenbesitz" ausstattete und nicht davor zurückscheute, dafür Benzin aus Wehrmachtsbeständen "abzuzweigen".

Nach 1945 blieben die geraubten Gegenstände zumeist verschwunden, es sei denn, Überlebende oder Freunde waren über die bürokratischen Wege informiert und konnten gezielte Nachforschungen anstellen. So gelang es beispielsweise dem ehemaligen Regierungsrat Max Müthing, im Keller des ausgebombten Oberfinanzpräsidiums in Darmstadt einen der wertvollen Teppiche seines Vetters, des Oberstabsarztes a.D. Dr. Emil Siegbert Rose, aufzufinden. Erich Jakob Rose, 1942 © Foto: KatalogDas in der Ausstellung gezeigte Schicksal dieser sich nicht als Juden, sondern als "sehr nationalbewusste Deutsche" fühlenden Familie Rose ist von besonderer Tragik: Als der für Hitler an der Ostfront kämpfende Sohn von der Deportation seiner Eltern erfuhr, beging er Selbstmord. Doch mit dem Tod der Familie in Auschwitz und Theresienstadt begann ein neues Kapitel: Erbstreitigkeiten. Das Finanzamt und der einzige, "arische" Verwandte kämpften um den wertvollen Hausrat. Das Testament des Sohnes Erich Rose ist gleichwohl nur eines von zahlreichen eindringlichen Dokumenten, die belegen, dass der NS-Staat und seine Finanzbehörden vor nichts zurückschreckten, um die leeren Kassen des Reiches zu füllen. Wie viele Milliarden dies insgesamt gewesen sein mögen, ist bis heute umstritten. Dass es mehr als die zumeist genannten 10 Milliarden Reichsmark waren, belegt die wenig sensible Äußerung des hessischen Finanzministers Werner Hilpert, der noch im Januar 1950 öffentlich fast doppeldeutig erklärt hatte, wenn die Bundesrepublik die geschätzte Summe von 37 Milliarden DM für die Rückerstattung der geraubten Eigentumswerte aufzubringen hätte, "müssten wir alle den Gashahn aufdrehen."

Die hier skizzierten Fälle und einige andere mehr stehen im Mittelpunkt der ersten Ausstellung in Hessen, die sich mit dem Wirken des Fiskus von 1933 bis 1945 befasst. Die Ausstellung selbst - Projektleitung: Prof. Dr. Micha Brumlik, Fritz Bauer Institut - besteht aus mehreren Teilen: Der erste Teil beschäftigt sich mit der ideologischen Basis, der Genese und Wirkung der einschlägigen Gesetze und Verordnungen, dem Aufbau der Reichsfinanzverwaltung und den entsprechenden Ereignissen in Hessen. Wie erging es den hessischen Jüdinnen und Juden nach der "Reichskristallnacht", wie wurde ihnen im Verlauf ihrer Flucht aus Deutschland ihr Vermögen geraubt, wie erfolgte die Umsetzung der "Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz" vom 25. November 1941 in den beiden Oberfinanzpräsidien des heutigen Landes Hessen? Wer waren die bei der "Verwaltung und Verwertung" eingesetzten Finanzbeamten? Ein weiterer Block zeigt einzelne "Täter" der unterschiedlichen bürokratischen Ebenen: einen Oberfinanzpräsidenten, den Leiter der zentralen Frankfurter Verwertungsstelle und einen mit der Verwertung nach den Deportationen beauftragten Finanzbeamten im ländlichen Oberhessen. Der nächste Block fragt nach den kooperierenden Interessengruppen in Politik und Wirtschaft, aber auch nach dem deutschen "Volks- und Parteigenossen" als Profiteur. Ein letzter, abschließender Teil widmet sich der so genannten Wiedergutmachung: Wie verlief der Prozess der Rückerstattung in Hessen, wie erfolgreich konnte er angesichts der gesetzlichen Ausgangslage, aber auch der weitgehend ablehnenden Haltung großer Bevölkerungsteile sein?

Das Testament des Erich Rose, aufgesetzt eine Woche vor der Deportation seiner Eltern, Akte: Altakten Finanzamt Darmstadt, Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, © Foto: Katalog

Hörstellen mit Originaltönen, eine Leseecke mit ausgewähltem Archivmaterial und Filme ergänzen die Präsentation. Die Lesemappen vertiefen und ergänzen einzelne Biographien und Sachverhalte. Im Gegensatz zu den Ausstellungstafeln und Vitrinen schlagen sie durch ausgewählte Fallbeispiele den Bogen von der Weimarer Republik bis zur Bundesrepublik. Bei den Opfern wird über den rein fiskalischen Aspekt hinaus der Prozess der Entrechtung und Enteignung dargestellt, beispielsweise das arbeitsteilige Vorgehen von Fiskus, Gestapo, NSDAP und der "Haupttreuhandstelle Ost" bei "Arisierungen" und der Verwaltung und Verwertung "jüdischen Besitzes" nach der Emigration oder Deportation seiner Eigentümer. Gefördert wird die Ausstellung - deren Schirmherrschaft Ruth Wagner, die damalige hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, übernommen hat - von der Hessischen Landesregierung, der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen, dem Förderverein des Fritz Bauer Instituts und weiteren Institutionen und Personen. Ein besonderer Dank gilt auch den Angehörigen der Opfer, die zum Teil Original-Dokumente und -Fotos sowie einzelne Objekte zur Verfügung gestellt haben. Seit der Eröffnung im Mai 2002 in Frankfurt/Main (Goldhalle des Hessischen Rundfunks) wandert die Ausstellung: Nach Marburg und Gießen wird sie in Darmstadt (Juni bis Juli 2003), Berlin und Kassel (Oktober 2003) zu sehen sein, im Jahre 2004 voraussichtlich auch in der Bundesfinanzakademie Brühl bei Köln sowie in Fulda, Hannover, Wetzlar und Wiesbaden. Für 2004 gibt es noch offene Termine. Die Präsentation kann den Ausstellungsräumlichkeiten angepasst werden, interessante Einzelfälle aus der Region können das Konzept ergänzen.

Dr. Susanne Meinl
Fritz Bauer Institut

Informationen zur Ausstellung

Fritz Bauer Institut
Dr. Susanne Meinl
Tel.: 069/798322-40, Fax: -41
E-Mail: s.meinl@fritz-bauer-institut.de

und

Hessischer Rundfunk
Dr. Bettina Hindemith
Tel. 069/155-4038
E-Mail: Bhindemith@hr-online.de

Katalog zur Ausstellung Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen (Hg.)
"Legalisierter Raub. Der Fiskus und die Ausplünderung der Juden in Hessen 1933-1945"

 Reihe selecta der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen Heft 8, 2002, 72 S., Schutzgebühr: 5,-

Zu beziehen über: Fritz Bauer Institut, Publikationsversand, Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt am Main
Fax: 0 69/79 83 22-41
E-Mail: versand@fritz-bauer-institut.de

 

AsKI KULTURBERICHTE 1/2003

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